Am westlichen Rand des alten Friedhofs, der sich um die Schleifer Kirche erstreckt, stehen zwei Denkmäler, die an den Deutsch-Französischen Krieg der Jahre 1870/71 erinnern. Den Blick zieht ein vier Meter hoher Obelisk aus Sandstein auf sich, der – wie aus der Signatur seitlich auf dem Stein hervorgeht – von Steinmetz Bruno Modrack aus Slamen bei Spremberg geschaffen worden war. Drei Bronzeelemente zieren das Monument: Unten zeigt ein rundes Medaillon das Bildnis Kaiser Wilhelms I., in der Mitte prangt ein Eisernes Kreuz und oben thront auf einem Reichsapfel der preußische Adler. In goldenen Lettern steht auf dem Obelisken, dass er zur „Erinnerung an die glorreichen Jahre 1870-71“ anlässlich des 25. Jubiläums der Gründung des Schleifer Militärvereins am 14. Juli 1912 errichtet worden war. Aus einem Zeitungsbericht über dieses Ereignis geht hervor, dass Graf Arnim aus Muskau und der Reichstagsabgeordnete Dr. Hegenscheidt den Bau des Denkmals gefördert hatten und dass die Weihe durch den Schleifer Pfarrer Matthäus Handrick im Rahmen einer Abgeordnetenversammlung des Niederschlesisch-Lausitzer Militärkreisverbandes in Anwesenheit von 40 Militärvereinen und zahlreichen hohen Gästen erfolgt war. Entsprechend der deutschen Inschrift des Monuments scheint auch die Denkmalsweihe ganz in deutscher Sprache von statten gegangen zu sein.
Hinter dem dominanten Obelisken steht etwas seitlich unter einer hohen Eiche ein unscheinbarer Gedenkstein, welcher der entscheidenden Schlacht des Krieges 1870/71, die am 1. und 2. September 1870 bei Sedan stattgefunden hatte und mit der Gefangensetzung von Kaiser Napoleon III. entschieden worden war, gewidmet ist. Das kleine Monument ist offensichtlich älter als der Obelisk. Aus rötlichem Stein gefertigt, ist es nur 72 Zentimeter hoch, 92 Zentimeter breit und etwa 20 cm tief. Ursprünglich wohl unmittelbar auf den Erdboden gesetzt, ist es heute in einem Betonfundament verankert. Auf der geglätteten Vorderseite ist oben ein Lorbeerkranz dargestellt, in dem nur noch schwer erkennbar die zwei untereinander stehenden und in sich verflochtenen Buchstaben „WR“ (Wilhelmus Rex) stehen, das Monogramm von Kaiser Wilhelm I. Unter dem Kranz ist das Eiserne Kreuz in den Stein gemeißelt und darunter zwei Inschriften, auf der linken Seite in Deutsch: „2/9.70. / So Endete / Der Angriff / Napoleons!“ und auf der rechten Seite in Sorbisch: „Bóhu džak / za dobyće / pod Seda- / nom! 2/9.70.“ (deutsch: Gott sei Dank / für den Sieg / bei Se- / dan! 2/9.70.) Die Eiche, unter der das Monument steht, ist eine so genannte Friedenseiche, die als Symbol des Sieges Deutschlands über Frankreich gepflanzt worden war.
Der kleine Gedenkstein scheint nicht von einem professionellen Steinmetz geschaffen worden zu sein, er hat eher einen volkstümlichen Charakter. Die Art der Aufteilung und Ausführung der Inschriften weist darauf hin, dass das Denkmal von einem einfachen Dorfbewohner, der sich auf das Bearbeiten von Steinen verstand, gefertigt wurde. Auch zwei kleine Schreibfehler im sorbischen Text sprechen für eine Laienarbeit.
Die Besonderheit des Monuments ist seine deutsch-sorbische Beschriftung, was bei Kriegsehrenmalen in den preußischen Regionen der Lausitz eine Seltenheit darstellt. Außer dem Sedandenkmal in Schleife gibt es in der preußischen Oberlausitz nur noch zwei Gefallenendenkmäler mit sorbischer Inschrift, die nach dem Ersten Weltkrieg in Groß Särchen und im benachbarten Wartha errichtet wurden. Aus der Niederlausitz hingegen ist kein einziges bekannt.
Auffällig beim Schleifer Sedandenkmal ist der abweichende Inhalt seiner beiden Inschriften. Während der deutsche Satz den Triumph des Siegers hervorhebt, sagt der sorbische Text Gott Dank für den errungenen Sieg. Mit seinem Inhalt und seiner Zweisprachigkeit vereint das Denkmal in sich deutschen Patriotismus, christliche Frömmigkeit und das Bekenntnis zur sorbischen Nationalität.
Wer das Denkmal zu Ehren der Schlacht von Sedan initiiert, seine Inschrift und Gestaltung entworfen und für seine Fertigung und Errichtung Sorge getragen hat, ist nicht dokumentiert. Alle Umstände weisen jedoch auf den Schleifer Pfarrer Julius Eduard Welan (1817–1892) als maßgeblichen Akteur hin.
Die Bedeutung des Gemeindepfarrers in dieser Angelegenheit geht schon aus dem historischen Kontext hervor, war doch der Impuls zu den Sedanfeiern in Deutschland von evangelischen Kirchenkreisen ausgegangen. Der westfälische Pfarrer Friedrich von Bodelschwingh, verdienter Leiter der Heil- und Pflegeanstalten für Kranke, Arme und Obdachlose in Bethel und Gründer weiterer Stiftungen für Bedürftige, hatte im Jahr 1872 vorgeschlagen, den 2. September in ganz Deutschland als Dank- und Friedensfest zu begehen. Diese Anregung von Seiten der Amtskirche fiel besonders in Preußen auf fruchtbaren Boden. So war Julius Eduard Welan in seinem Amt als Pastor geradezu prädestiniert, die Feierlichkeiten am Sedantag in seiner Kirchengemeinde an führender Stelle mitzugestalten und durchzuführen.
Für Welan als Initiator des Denkmals spricht weiter, dass er auch persönlich ein Anhänger des Militärs war. Einem Selbstbekenntnis von 1874 zufolge war er seit seinem Militärdienst in jungen Jahren von entsprechendem Geist erfüllt: „… der Verfasser, selbst einmal Soldat gewesen, weiß nur zu gut, wie Militärübungen einem Menschen – sozusagen – in Fleisch und Blut übergehen und ihn zeitlebens prägen.“ So verwundert auch nicht, dass Pastor Welan Mitglied des Schleifer Militärvereins wurde, als dieser im Jahr 1887 gegründet worden war.
Drittens spricht die sorbische Inschrift auf dem Denkmal für Welan. Einzig ihm, dem überzeugten Patrioten und Verteidiger des Sorbentums in seiner preußischen Heimat, ist es zuzutrauen, auf die zweisprachige Gestaltung des Denkmals Wert gelegt zu haben. Dabei verwendete er für den sorbischen Text nicht den Schleifer Dialekt, sondern das Obersorbische, das damals in der Kirche und in den Schulen des Schleifer Kirchspiels angewandt wurde.
Viertens zeugt auch die deutsche Inschrift von einem gelehrten Autor, der sich in poetischen Formen auskannte. Die auf den ersten Blick seltsam anmutende Art, dass jedes deutsche Wort mit einem großen Anfangsbuchstaben beginnt, erweist sich als Akrostichon. Setzt man jene fünf Großbuchstaben zusammen, entsteht das Wort „SEDAN“. Das Akrostichon als Kunstform stammt aus der Zeit der Antike, wurde im Mittelalter und im Barock gepflegt und findet auch heute gelegentlich noch Anwendung. Dem Universitätsabsolventen Welan, der sich neben seinem geistlichen Amt auch auf künstlerischem Gebiet als Zeichner, Schriftsteller und Poet betätigte, dürfte diese besondere Form der Dichtkunst wohl bekannt gewesen sein.
Dass der Denkmalstext in Analogschrift und nicht in der seinerzeit üblichen Schwabacher Schrift in den Stein gehauen wurde, ist ein weiterer Hinweis auf den schriftgelehrten Verfasser, der sich für die modernere Schreibweise entschieden hatte.
Schließlich deuten auch die Dankbarkeit gegen Gott im sorbischen Text und der Standort des Denkmals auf dem alten Friedhof auf den Einfluss des Pfarrers hin. Der einstige, rund um die Kirche gelegene Schleifer Friedhof, der dem ganzen Kirchspiel als Begräbnisstätte gedient hatte, war Ende 1862 geschlossen und durch neu angelegte kommunale Friedhöfe in den einzelnen Dörfern ersetzt worden. So stand auf dem Grundstück, auf dem ein Grab nach dem anderen eingeebnet wurde, genügend Platz für die Errichtung des Sedandenkmals zur Verfügung. Der Standort nahe der Kirche war auch aus praktischer Sicht günstig, konnten doch die Feierlichkeiten, die in der Kirche begonnen hatten, unmittelbar anschließend am Denkmal fortgesetzt werden.
Wann das Schleifer Sedandenkmal eingeweiht wurde, ist nicht überliefert. Der in Frage kommende Zeitraum lässt sich aber auf einige Jahre eingrenzen.
Die ersten Sedandenkmäler wurden in Deutschland bereits zum einjährigen Jubiläum der Schlacht am 2. September 1871 errichtet. In späteren Jahren folgten im Rahmen von Sedanfeiern viele weitere Denkmalsweihen, unter anderem am 2. September 1873 in Berlin die Weihe der Siegessäule, die das bekannteste Sedandenkmal sein dürfte. Der Schleifer Gedenkstein wird erstmals in einem Zeitungsbericht über die Sedanfeier des Jahres 1878 erwähnt, in dem es heißt: „Nach dem Gottesdienst trat unser geliebter Pfarrer Herr Welan vor die Kirche an das steinerne Sedandenkmal, das schön mit Girlanden geschmückt war, unter die versammelte Menschenmenge. Als die Choralmusik verklungen war, hielt der Herr Pastor eine Festrede (zuerst auf Sorbisch, dann auf Deutsch), in der er uns ins Gedächtnis rief, was uns Sedan predigt: ,So endete der Angriff Napoleons‘ …“
Aus der Tatsache, dass im Bericht von keiner Denkmalsweihe die Rede ist und die Existenz des Monuments als gegeben vorausgesetzt wird, lässt sich schließen, dass die Weihe schon bei einer vorhergehenden Sedanfeier in den Jahren zwischen 1871 und 1877 stattgefunden haben muss.
In Schleife wurden die Sedanfeiern alljährlich mit einem Festumzug, Militärmusik, Gesang, Fahnen, Militärübungen, einer Ansprache des Pfarrers und abendlichem Tanz begangen. Die Kinder waren ins Programm einbezogen, sollte doch nach einer Verordnung des preußischen Kultusministeriums von 1873 der Sedantag auch in den Schulen gefeiert werden. Unter Leitung von Kantor Räde trugen die Schleifer Schüler auf dem Festplatz patriotische Lieder vor. Im Festzelt wurde für das leibliche Wohl gesorgt, sodass der Tag als Volks- und Dorffest ausklang. Am Abend brachte die Kapelle eigens dem Pfarrer mit Militärmärschen noch ein Ständchen dar.
Eine Besonderheit gab es auf dem Schleifer Sedanfest des Jahres 1878, als „zur Musik des Herrn Kapellmeisters Domel …ein Freund unseres Volkes“ das sorbische Lied „Su byli pódla“ (deutsch: Sie waren dabei) verfasst hatte. Sein Inhalt deutet darauf hin, dass der dichtende „Freund unseres Volkes“ kein anderer war als Pfarrer Welan selbst. Die Deutschen werden darin auf die große Treue der Sorben hingewiesen, die sich auf verschiedenen Schlachtfeldern zum Erringen der Größe des deutschen Kaiserreiches geopfert, sich jedoch nie an Aufständen gegen die Obrigkeit beteiligt hatten. Zugleich äußert der Dichter die Hoffnung, dass es Gott irgendwann gefallen möge, dem Slawentum und damit auch den Sorben Gnade zu erweisen. Dem deutsch-nationalen und militärischen Geist des Sedanfestes verlieh dieses Lied einen sorbisch-slawischen Akzent. Auch in anderen Dörfern des Schleifer Kirchspiels etablierten sich Sedanfeiern, die Pfarrer Welan leitete. Die Bedingungen dafür waren jedoch nicht überall so günstig wie im Kirchort. So berichtete man im Jahr 1880 aus Trebendorf: „Auch hier wurde das Sedanfest begangen, und bei dieser Gelegenheit hielt unser Schleifer Pastor Herr Welan eine solch herrliche Rede, dass die Zuhörer voller Wehmut heiße Tränen vergossen. Wir sprechen ihm hiermit für seine wohltuenden Worte unseren allerherzlichsten Dank aus. Mit der Parade, die vor ihm abgehalten wurde, war er zufrieden. Sie wäre allerdings noch besser gelungen, aber es fehlte an Kommandanten; keiner wollte das Kommando übernehmen, bis sich endlich der Halbhüfner Matthäus Lehnig an diese Aufgabe heranwagte. Wenn dabei einige Fehler unterliefen, darf sich darüber niemand wundern, denn Lehnig ist schon vor 12 Jahren vom Militär heimgekommen. Beim Zapfenstreich trug Halbhüfner Hans Jando die Fahne.“
Die Sedanfeiern verloren mit dem Untergang des deutschen Kaiserreiches ihren Sinn und wurden 1919 von der Regierung der Weimarer Republik abgeschafft. Längst sind sie in Vergessenheit geraten, nur hier und da zeugen noch erhaltene Monumente von der einstigen Bedeutung des Tages. Einen besonderen Platz unter diesen nimmt das Sedandenkmal von Schleife ein, das – soweit bisher bekannt – das einzige seiner Art ist, das neben einer deutschen auch eine sorbische Inschrift trägt. Zugleich gehört es zu den ersten sorbischen bzw. zweisprachigen Kriegsehrenmalen in der Lausitz, deren Tradition im Jahre 1869 mit einem Gefallenendenkmal in Neschwitz beginnt. Und schließlich zeugt der Stein vom Bestreben Pfarrer Julius Eduard Welans, im Kirchspiel Schleife den deutschnationalen Patriotismus und preußisch-militärischen Geist mit christlicher Frömmigkeit und dem Bekenntnis zum Sorben- und Slawentum zu verbinden.
Anmerkung: Der originale sorbischsprachige Beitrag „Sedanski pomnik w Slepom“ mit Quellenangaben ist veröffentlicht in der Kulturzeitschrift Rozhlad Nr. 9/2020, S. 15–19
Fotos: Der dominante Obelisk erinnert an den Krieg 1870/71 und der unscheinbare Gedenkstein links dahinter an die entscheidende Schlacht von Sedan am 2. September 1870 Foto: Trudla Malinkowa (unter: Slepo – pomniki – Sedan ... – 880)
Das Schleifer Sedandenkmal, errichtet zwischen 1871 und 1877, ist das einzige seiner Art mit zweisprachiger Beschriftung. Foto: Trudla Malinkowa (unter: Slepo – pomniki – Sedan ... – 893)
Pfarrer Julius Eduard Welan (1817–1892), geistlicher Leiter der Sedanfeiern im Kirchspiel Schleife Foto: Sorbisches Kulturarchiv Bautzen